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Nov 2018

Muttersprachen bleiben dem Gehirn erhalten

Nach neun Monaten im Ausland beherrschen die meisten Erwachsenen die neue Sprache zumindest in den Grundzügen. Kinder sprechen die neue Sprache nach neun Monaten in einem anderen Land häufig nahezu perfekt. Eine neue Studie deutet jetzt darauf hin, dass sogar Babys die Sprache ihrer Mutter nach neun Monaten im Bauch unbewusst lernen und behalten – selbst wenn sie nach der Geburt im Ausland adoptiert werden.

Muttersprachen im Unterbewusstsein             

Worum es in der Studie „Mapping the unconscious maintenance of a lost first language“ geht:

Die Wissenschaftler des neurologischen Instituts in Montreal und der psychologischen Fakultät der McGill Universität untersuchten 48 Gehirne weiblicher Bewohner der Gegend um Montreal mittels eines MRT-Scans. Die Teilnehmerinnen waren zwischen neun und 17 Jahre alt. Die Wissenschaftler unterschieden folgende Gruppen:

  1. Die Teilnehmerinnen sind in Frankreich geboren worden und in einer französisch sprechenden Familie aufgewachsen.
  2. Die Teilnehmerinnen sind in China geboren und als Säugling von einer französisch sprechenden Familie adoptiert worden. Sie haben keine bewusste Erinnerung an Chinesisch.
  3. Die Teilnehmerinnen sprechen fließend Französisch und Chinesisch.

Die Wissenschaftler führten die MRI-Untersuchungen durch, während die Teilnehmerinnen jeweils dieselben chinesischen Wörter hörten. Das Ergebnis war erstaunlich: Die Erregungsmuster in den Gehirnen der Teilnehmerinnen aus Gruppe 2 stimmten mit denen der Teilnehmerinnen aus Gruppe 3 überein. Die Grundlage für diese Muster könne nur in den ersten Lebensmonaten erworben worden sein, so Lara Pierce, Doktorandin der McGill Universität laut Science Daily. Die Muster seien außerdem grundverschieden von denen der Teilnehmerinnen aus Gruppe 1.

Ziel der Studie zur unbewussten Muttersprache

Bereits bekannt ist die Tatsache, dass das Gehirn eines Säuglings sogenannte Repräsentationen von (muttersprachlichen) Sprachlauten ausbildet. Das bedeutet, dass sich bestimmte Gehirnregionen auf die Ausbildung von Sprachlauten spezialisieren. Ziel der Studie war zu sehen, ob das Gehirn diese früh gebildeten Repräsentationen auch im späteren Leben beibehält, selbst wenn die jeweilige Person dem Einfluss der Muttersprache nicht mehr ausgesetzt ist.

Können alle neuronalen Repräsentationen überschrieben oder gelöscht werden?

Laut Science Daily deuten die Ergebnisse nicht nur darauf hin, dass die Repräsentationen der Muttersprache beibehalten werden. Vermutlich beeinflussen sie das Gehirn ein Leben lang: Die Studie könnte darauf hindeuten, dass Informationen, die während einer optimalen Entwicklungsperiode erworben worden sind, einen speziellen Status innehaben.

Dieses Ergebnis wirft die Frage auf, ob alle neuronalen Repräsentationen überschrieben oder gelöscht werden können. Wie gut und auf welche Weise können frühzeitig erworbene, jedoch verloren gegangene Fertigkeiten und Kenntnisse erneut erlernt werden? Wie weitreichend ist der unbewusste Einfluss frühzeitig erworbener Erfahrungen auf die spätere Entwicklung?

Dieser Link bringt Sie direkt zum Forschungsartikel „Mapping the unconscious maintenance of a lost first language“.

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